Wie liest sich eigentlich …?

Die Buchbesprechung der etwas anderen Art

Die folgenden kurzen Rezensionen sind ausdrücklich nicht als klassische Interpretationen zu verstehen und ebenso wenig sollen sie umfassend sein. Es geht insbesondere um die Lesbarkeit der Bücher, den Erzählfluss und die Sprache. Dabei ist die Beurteilung natürlich immer eine subjektive. Zudem sollen sich – entsprechend des Mottos In der Kürze liegt die Würze – meine Betrachtungen in lediglich 111 Worte ergießen.

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Böll, Heinrich: Billard um halb zehn

Mit dem Böll hatte ich schon immer meine Schwierigkeiten. Er ist ganz einfach nicht mein Gern-Mög-Schreib-Typ. Ausnahme ist die Katharina Blum. Die zieht mit. Billard um halb zehn dagegen macht mich schläfrig. Die Figuren interessieren mich nicht sonderlich und ich komme nicht voran. Und habe das Bild von zäh dahin fließendem Brei vor Augen.
Schließlich nähere ich mich mit immer schnelleren Seiten-Umblätteraktionen der Seite 281. Ende. Endlich geschafft! Jetzt bin ich erst bei Wort 76 und weiß schon nichts mehr zu sagen über dieses Buch. Also lese ich das Nachwort in der Hoffnung, dass etwas erstrahlt. Aber da strahlt nix. Der Böll bleibt für mich in der trostlos versachlichten Dunkelheit.

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Balzac, Honoré de: Eugénie Grandet

Ein Band der Menschlichen Komödie. Nach den lang erscheinenden anfänglichen Detailbeschreibungen kann man sich gut in die Geschichte hinein lesen, die alsbald flüssig voran schreitet und mit sprachlicher Qualität besticht. Psychologisch interessant ist die Unterwerfung der drei Frauen im Haushalt Grandet, die sich nicht gegen den tonangebenden Geizhalz zur Wehr setzen. Geld ist im Übermaße da, aber sie darben und frieren. Als zweiten Strang gibt es die Liebesgeschichte, die keine ist. Auch hier verwirrt die Unterwerfung der Protagonistin, aber weniger dem Manne, als ungeschriebenen Gesetzen. Der Leser ahnt indes, dass dies alles recht sinnlos ist und hat Mitleid mit der armen reichen Frau, die offenbar ausnahmslos von geldgierigen Männern umgeben ist.

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Balzac, Honoré de: Pierette

Ein Band der Menschlichen Komödie. Wenngleich wenig Komödiantisches darin zu entdecken ist. Der Roman liest sich flott, die Sprache ist gewandt und entsprechend der Entstehungszeit sehr angenehm. Leicht macht es der Autor dem Leser, sich augenblicklich auf die Seite des armen Geschöpfes Pierette zu schlagen und ihn gegen die tyrannisierenden Verwandten zu stellen.—- Die drei Protagonisten sind mir allerdings etwas zu schwarz-weiß geraten. Ab und an fühlte ich mich ermattet von den vielen Personen, die in der Geschichte kurz erwähnt werden, um dann jedoch sofort wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Überraschend ist die schonungslose Beschreibung der Geschwister Rogron, deren geistiger Vater sie mit harten, stark negativ bewertenden Worten charakterisiert.

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Buck, Pearl S.: Die gute Erde

Da ich mich in der Vergangenheit mit der chinesischen Kultur wenig beschäftigt hatte, war ich skeptisch, ob ich mich hinein lesen kann. Schon nach den ersten Seiten war klar: Ich werde es verschlingen. Grund dafür ist u.a. der Schreibstil. Das Buch liest sich flüssig und erschien mir zu nie langweilig. Die Handlung verläuft stringent und ist stets nachvollziehbar. Die Bräuche, Traditionen und Ansichten sind für den heutigen Westeuropäer mitunter befremdlich, wenn es z.B. um den Wert einen Frauenlebens geht oder wenn das Halten einer Konkubine als etwas Normales angesehen wird. Das alles stößt nicht so sehr ab, dass ich das Buch schnell beiseitelegte. Nein, stets war ich gespannt, wie es weitergeht.

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Capote, Truman: Die Grasharfe

Nach etwa zwanzig Seiten kam mir die Geschichte seltsam bekannt vor. Nach weiteren zwanzig Seiten war klar: Das habe ich schon gelesen. Ein Blick ins Bücherregal brachte die Bestätigung. Ich hatte das Buch zum zweiten Mal gekauft, ohne mich an dessen Besitz zu erinnern. Demnach hatte sich nichts Bedeutendes eingeprägt und auch dieses Mal fand ich den rechten Zugang nicht.
Dabei ist es sprachlich – und trotz Übersetzung – gut. Die story ist speziell, etwas abgefahren und daher interessant. Dennoch konnte ich nicht in den Szenen verweilen, langweilte mich hier und da. Die Figuren blieben mir fremd, so als würden sie sich nicht in Gänze offenbaren wollen. Schade – na vielleicht beim dritten Mal!

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Dürrenmatt, Friedrich: Die Physiker

Dürrenmatt ist mein Freund. Den versteh ich. Den les ich gern. Der hat etwas zu sagen. Und er sagt es auf eine groteske, mitunter böse und zynische Weise. Der Text ist nicht leicht zu lesen, da es kein Roman ist, sondern im Genre des Dramas daher kommt. Auf der Bühne mag man es sich gern vorstellen. Dennoch las ich es zügig, nicht ohne dabei abwechselnddie historischen Personen sowie die Schauspieler aus der Verfilmung von 1964, Gustav Knuth, Therese Giehse und Siegfried Lowitz vor mir zu sehen. Die Kritik an Mensch und Gesellschaft wirkt nicht aufgesetzt, nicht überzogen, man muss sie nicht unter Wortbergen suchen. Die Anklage ist ein nachvollziehbares Bedürfnis.

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Fontane, Theodor: Mathilde Möhring

Raffiniert konstruierte Geschichte, in der nichts dem Zufall überlassen wird. Dafür sorgt schon die tüchtige Protagonistin, die mit Vernunft und Sachlichkeit ihre Ziele verfolgt. Das ist die Würze der Geschichte. Ich wollte zu jeder Zeit wissen, wie es weitergeht und wohin sie es noch bringt. Die Sprache ist gefällig und die Geschehnisse fliegen fast filmartig vor dem geistigen Auge vorbei, viel drängender als bei Effi. Das interessante Fontane‘sche Frauenzimmer ist der Zeit voraus, was suspekt anmutet, aber Bewunderung hervorruft. Und man will wissen, ob sie nicht irgendwann doch noch gegen die Wand fährt und niedersinkt vor den Gegebenheiten der Realität. Das hat er sich schon gut ausgedacht, der Fontane, der Theodor.

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Hesse, Hermann: Narziss und Goldmund

Wenn ich ein Jahr nach dem Lesen eines Buches so gut wie nichts mehr darüber zu sagen weiß, heißt das wohl, dass es mich nicht allzu sehr beeindruckt hat. Tatsächlich zählt diese Geschichte weder von der Epoche, noch von der Thematik Kloster zu meinen Favoriten. Und noch weniger interessieren mich männliche Frauen-Sammler. Solche Art Lektüre gibts heutzutage en masse, ja, aber warum muss uns der Hesse damit überschütten? Die Sprache freilich ist schön zu genießen und wer sich auf die Geschichte einlassen kann, für den ist die Lektüre sicher angenehm und recht unterhaltsam. Ich tu es wohl kein zweites Mal und halte mich dann doch vielleicht eher an den Steppenwolf.

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Jelinek, Elfriede: Die Klavierspielerin

Irgendwann ist jeder reif für die Jelinek! Heißt es nicht so? So griff ich kürzlich beherzt nach diesem Buch. Leider haute es mir die Österreicherin gewaltig vom Sockel. Vom imaginären. Ich kam einfach nicht rein in die bizarre Geschichte. Hielt ich mich anfangs noch tapfer an die Zeilen, so begann ich nach ca. 50 Seiten, diagonal zu lesen, dann immer mal eine Seite zu überspringen und schließlich auch mal fünf und mehr Seiten. Und es schien ganz egal, wo ich wieder in die Geschichte eintauchte, denn alles erschien mir wie eine willkürliche Aneinanderreihung von Sätzen (was es natürlich nicht ist). Anders ausgedrückt: Auf mich wirkte der Text wie Logorrhö, deutsch: Wortdurchfall.

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Kafka, Franz: Die Verwandlung

Mein absoluter Lieblings-Kafka. Deshalb kann hier auch nicht viel Negatives kommen. Eigentlich gar nichts. Was hieße, die Erzählung ist perfekt? Wer kann das schon beurteilen! Abgesehen von der seltsamen Geschichte des traurig-tragischen Entfliehens lässt sie sich – anders als der Prozess mit seinen vielen Brüchen – gut lesen. Das Fantastische ist nicht Selbstzweck, sondern hat einen tieferen Sinn, einen Hintergrund, den man – wie bei allen Werken dieses Autors  – nur mit Kenntnis seines Leben, seines Denkens und seines Wesens verstehen kann. Irgendwie mag man diesen Gregor Samsa, diesen nicht schön anzusehenden, zum Käfer mutierten Ernährer der Familie, dem ein großes Unrecht widerfährt. Man mag ihn und man denkt, es müsse einen Ausweg geben.

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Mann, Klaus: Mephisto

Dieses Werk habe ich gern gelesen, schon aus dem Grund, da ich vorher den Film mit Klaus Maria Brandauer gesehen hatte, von dem ich fasziniert war. Also von dem Film. Beim Lesen sah ich dann abwechselnd Brandauer und Gustaf Gründgens vor mir, wenngleich der Protagonist dann doch eher ein Typus zu sein scheint als der echte Gründgens. Die Lektüre des Mephisto hatte zur Folge, dass ich eine Biographie des Ex-Schwagers von Klaus Mann und großen Regisseurs las. Das finde ich toll, wenn Literatur nicht nur zum Nachdenken anregt, philosophiert, aufklärt, unterhält, Charaktere formt, psychologisiert, sondern wenn sie zudem zum Weiterlesen anregt. Den Mephisto werde ich sicher noch ein drittes Mal lesen.

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Mann, Thomas: Der kleine Herr Friedemann

Die frühen Erzählungen Thomas Manns üben einen besonderen Reiz auf mich aus. Fast mag ich sie mehr als die Spätwerke. Nicht wegen der Kürze an sich, sondern wegen der pointierten Verknappung. In dieser kleinen Novelle sind keine ausschweifenden Beschreibungen, die Geschichte liest sich flott, wenn auch mit gewissem Stirnrunzeln angesichts der tragischen Liebe der Hauptfigur. Schon hier lernen wir die wunderbare Sprache des Autors kennen und können uns daran erfreuen. Wie so oft bei Thomas Mann ist es klug, auf sein Leben zu schauen sowie auf seine musikalischen (Richard Wagner) und philosophischen (Friedrich Nietzsche) Vorlieben. Nur so lassen sich die Werke mit ihren zahlreichen Motiven im Hintergrund und in Gänze verstehen.

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Maupassant, Guy de: Mont-Oriol

Es plätschert so dahin. Auf den ersten 100 Seiten dachte ich ab und an, nun müsse es doch aber endlich einmal beginnen. Aber nein, nichts beginnt, es plätschert immer weiter. Wie aus einer Quelle, unaufhörlich und immer in der selben Art ohne Höhen und Tiefen. Ach richtig, im Roman geht es um Quellen, na, dann passt es doch auch ganz prima zum Inhalt, dieses plätschernde Erzählen. Die Sprache freilich ist angenehm, aber was kann sie in diesem Fall retten? Irgendwo las ich, dass es sich bei diesem Werk um eine Karikatur handelt, eine Karikatur bezüglich der Geschäftemacherei und der Geldgier. Mag sein, aber auch das geht im gleichmäßigen ermüdenden Dahinplätschern unter.

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Roth, Joseph: Radetzkymarsch

Auf den Punkt gebracht: Das musikalische Werk gleichen Namens gefällt mir wesentlich besser als das literarische. Vielleicht, weil ich ein Mädchen bin. Jungen mögens höchstwahrscheinlich sehr viel mehr, Geschichten von heldenhaften Soldaten, Leutnants und Generälen zu lesen. Und von schicken Uniformen. Halt überhaupt vom Militär. Mir entlockt das ganze Thema nur ein müdes Gähnen und die zwingende Frage: Will ich das zu Ende lesen? Nein, ich will nicht! Sollen sich mal die Herren der Schöpfung daran erfreuen. Ich kam auch in diese Geschichte nicht recht hinein, auch nicht um des hintersinnigen Witzes Willen, der bisweilen in der Lächerlichkeit der Karikatur zu gipfeln scheint. Erzählen kann er freilich, der Roth, der Joseph.

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Schnitzler, Arthur: Therese

Der größte Schnitzler-Fan bin i net, aber i mog den Wiener Schmäh und eh a bissl diese ganze Epoche. Da nahm ich mir also jüngst die Therese vor. Sie liest sich gut, die Therese. Kein zähes Dahinsiechen von Handlung und Wortfluss, sondern ein flüssiges Voran gleiten, ohne übermäßig lang hängenzubleiben bei den diversen andersgeschlechtlichen Errungenschaften der unglückseligen Protagonistin.  Grad lang genug, um das bedauernswerte Geschöpf stets auf Neue zu bemitleiden. Freilich, am End‘ wirds dann doch a bissl viel mit den Männerg’schichten, so dass sich ob der permanenten Wiederholungen Ermüdungserscheinungen einstellen. Die Sprache aber ist scho schee, solch wohlgeformte Wortaneinanderreihungen, die in ebenso das Gemüt erquickenden Sätzen ihre Erfüllung finden.

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Schulze, Ingo: Die rechtschaffenen Mörder

Der erste Teil fesselte mich sowohl bezüglich der Handlung als auch hinsichtlich des Erzählflusses und Erzählstils. Leider schlossen sich der zweite und dritte Teil nicht in dieser Weise an, ganz im Gegenteil. Nicht nur, dass das offene Ende des ersten Teils weder Entsprechung noch Antwort fand, der Stil schien mir  plötzlich holprig, der Redefluss zerhackt. Ich hatte das Gefühl, der Autor selbst hatte keine Lust mehr zum Schreiben. Der Ich-Erzähler interessierte mich nicht, dessen Ergüsse sind eher peinlich. Keine Besserung im dritten Teil. Stattdessen wusste ich nicht mehr, was ich von dem Ganzen halten sollte, das ohnehin inhaltlich nicht der Ankündigung des Klappentextes entsprach. So legte ich das Buch unbefriedigt beiseite.

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Steinbeck, John: Früchte des Zorns

Die knapp 600 Seiten habe ich rasch und gern gelesen. Die Figuren wirken authentisch, die Protagonisten  sympathisch. Ihre Handlungen sind in den meisten Fällen nachvollziehbar. Die Sprache – zumindest die der wörtlichen Rede – ist gewöhnungsbedürftig, passt der Autor diese doch dem Stand der Menschen an: Es sind einfache Landleute, Farmer, ohne große Bildung. Sie arbeiten eher mit den Händen als mit dem Kopf, haben jedoch ein sehr feines psychologisches Gespür, was sie noch interessanter macht. Am Ende konnte ich mich nur schwer trennen. Gern hätte ich gewusst, wie es mit den Hauptfiguren weitergeht. Und es schwebten die Augen wohlwollend und in Spannung über die vielen Seiten und wollten einfach nicht aufhören damit…

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Walser, Martin: Ein fliehendes Pferd

Weshalb Marcel Reich-Ranicki so begeistert war von dieser Novelle und warum diese nach dem Erscheinen so hoch gelobt wurde, kann ich nicht nachvollziehen. Für mich ist sie nur eine Geschichte, die wenig Nachdenklichkeit und Interpretationswillen verursacht. Vielleicht überlege ich, weshalb dieser kurzen Pferdeszene eine solch große Bedeutung zukommt, weshalb sie zum Titel des Buches erhoben wird. Sind mit dem fliehenden Pferd möglicherweise die Figuren gemeint, insbesondere die beiden Männer, die vor etwas fliehen? Zu mehr Denkarbeit regt mich die Geschichte nicht an. Aber sie liest sich flott runter. Die Sprache ist den Figuren angepasst, die vielen Sätze im Konjunktiv nerven und die betont oft verwendeten sagte sie und sagte er ebenfalls.

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Zola, Emile: Der Totschläger

(Roman-Zyklus: Die Rougon-Macquart, Band 7)
Totschläger ist der Name der Kneipe, in dem sich insbesondere die männlichen Gestalten des Romans betrinken. Und damit sind wir mittendrin im Thema der Geschichte – dem Verfall durch Alkohol. Der ruiniert nicht nur die Süchtigen, sondern auch deren Familien. Dabei lässt sich zwischenzeitlich alles recht gut an, die Protagonistin Gervaise hat eine gut laufende Wäscherei und ihr Mann Coupeau scheint arbeitsam und ehrbar. Doch die Süchte mehren sich, dazu gesellen sich Triebbefriedigung und Trägheitsanwandlungen.  Schließlich ist der Verfall nicht mehr aufzuhalten. Das 500-Seiten-Werk liest sich in flüssig, macht nachdenklich, die naturalistischen Beschreibungen erschrecken und stoßen ab und nicht selten hofft man, Gervaise möge doch noch gewinnen, aber das tut sie nicht.

© Kerstin Weber